In diesem Beitrag möchte ich näher beleuchten, welche Problematiken einer Person bei der Auswahl seiner Freizeitaktivitäten haben kann. Weiterhin möchte ich auf mögliche Entstehungsgründe jener Probleme eingehen und am Ende einige kurze Vorschläge machen, wie man diese Hindernisse lösen bzw. diesen aus dem Weg gehen kann.
Das Angebot
Die globalisierte Welt, das Internet und das Glück in einem wohlhabenden Land geboren zu sein und zu leben, geben einem in Deutschland viele Möglichkeiten seine Freizeit zu gestalten. Das Angebot reicht von einer schier unendlichen Menge an Unterhaltung jeglicher Art, bis hin zum (eigenständigen) Erlernen neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Einem stehen quasi alle Türen offen, man muss nur auswählen, durch welche Tür/Türen man geht.
A large array of options may discourage consumers because it forces an increase in the effort that goes into making a decision. So consumers decide not to decide, and don’t buy the product. Or if they do, the effort that the decision requires detracts from the enjoyment derived from the results. Also, a large array of options may diminish the attractiveness of what people actually choose, the reason being that thinking about the attractions of some of the unchosen options detracts from the pleasure derived from the chosen one.
Schwartz, Barry (2004). The Paradox Of Choice. ISBN 0-06-000568-8.
Wie Barry Schwartz in “The Paradox of Choice” erläutert, ist das jedoch nicht gerade eine Situation, die einen Menschen unbedingt glücklich macht, wie man vielleicht zu denken vermag. Denn mit der großen Auswahl kommt eine Menge an Optionen hinzu, die man verpasst, wenn man sich für eine, aber gegen alle anderen entscheidet. So passiert es gut und gerne mal, dass man in einer Art Entscheidungsparalyse steckt und einen nicht unerheblichen Teil seiner (sehr geringen) Frei-Zeit damit verbringt, die richtige Auswahlmöglichkeit zu wählen. Ist die Entscheidung dann getroffen, so Schwartz, kommt es auch mal vor, dass sich die Frage stellt, ob denn die anderen Optionen nicht vielleicht doch die richtigen gewesen wären. Dadurch hat man weniger Freude an der aktuell gewählten Option.
Schwartz’ These bezieht sich, in meinen Augen, eher auf Entscheidungen, die, langfristig gesehen, nicht so einfach zu revidieren sind, oder bei denen dies mit einem erheblichen Aufwand verbunden wäre. Melde ich mich also bei einem analogen Kurs an um eine Sprache zu erlernen, habe ich bereits eine größere monetäre Investition getätigt und möchte diese gegebenenfalls nicht aufgeben. Auch ein Wechsel in einen anderen Kurs ist hier meist nicht einfach möglich, stattdessen müsste ich auf mich nächste Kursperiode gedulden.
Einfach eine Entscheidung treffen
Ein Weg mit der großen Auswahl umzugehen, ist es, sich zu entscheiden. Das ist einfacher gesagt als getan, jedoch ist das nicht nur eine Phrase, wie man gegebenfalls denken mag. Wenn man sich nicht wochenlang damit beschäftigt, welche Option nun die Beste ist, sondern die Recherchezeit limitiert auf ein paar Stunden, so ist noch genügend Zeit übrig eine ausgiebigen Vergleich zu tätigen. Es geht jedoch nicht zu viel Zeit in den (fast unnötigen) Details verloren. Wenn dann noch die persönliche Einstellung dahingehend angepasst werden kann, dass man sich zufrieden gibt mit der gefällten Entscheidung, ist die Zufriedenheit oft größer als wenn man sich auf das Verpasste konzentriert.
Die verlockenden digitalen Angebote
Bei der digitalen Unterhaltung sieht es jedoch ein wenig anders aus. Hier fragt sich der Nutzer üblicherweise nicht, ob denn die andere Option besser ist, sondern kann sich direkt nach einer getroffenen Wahl umentscheiden. Doch, durch die auf uns persönlich zugeschnittene Auswahl an Unterhaltung auf Plattformen wie YouTube oder Netflix, wachsen unsere “Später ansehen” Listen ins unendliche und man steht vor der (relativ kleinen) Gefahr, gegebenfalls etwas zu verpassen. Auch beginnen wir oft mit etwas, aber führen es nicht zu Ende. Sei es ein neues Spiel, welches fast kostenlos auf Steam erworben wurde, oder der neue Marvel Superheldenfilm auf Disney+.
In meinen Augen nehmen diese digitalen Angebote sehr viel Zeit in Anspruch, wenn man sich dem einmal hingibt. Diese Zeit könnte man dafür verwenden anderen Gestaltungsmöglichkeiten nachzugehen. Damit wir verstehen, wie wir bewusster mit diesen Medien umgehen können, müssen wir erstmal verstehen, wie diese funktionieren.
Damit der Nutzer nicht schnell frustriert ist oder lange suchen muss, und entsprechend mehr konsumieren kann, haben die Plattformen pfiffige Algorithmen entwickelt, die durch das Verhalten der Nutzer erkennt, was dieser präferiert. So werden Inhalte empfohlen, die diesen möglichst lange am Ball halten. Hier kommt der Neurotransmitter Dopamin in’s Spiel.
Dopamin
Wie Dopamin generell erstmal zu verstehen ist und dass dieses Hormon einer unserer Hauptmotivatoren ist überhaupt zu handeln, verdeutlichen Dr. Chuck Smith und Dr. Jason Hunt in ihrem Buch “Understanding Addiction” sehr deutlich.
Im menschlichen Gehirn wird, wenn der Mensch beispielsweise hungrig ist, das Stresshormon Corticotrophin-Releasing Hormon CRH ausgeschüttet. Dieses signalisiert dem Gehirn, dass etwas im Körper nicht stimmt. Durch die Ausschüttung von CRH sinkt das Dopaminniveau und der Mensch bekommt einen Drang zu handeln. Isst dieser dann also etwas, steigt das Dopaminniveau wieder auf die gewohnte Höhe und er ist zufriedengestellt. Doch nicht nur Essen und Trinken haben Einfluss auf dieses System, auch Substanzen (und Verhalten) können sich darauf auswirken.
Scientists talk in terms of a percent concentration of dopamine. The base rate is 100 percent, just the right amount to signal to the brain that all is well. If it begins to drop, the anxiety kicks in, letting the brain know that action needs to be taken. Eating food or drinking water might raise the percent to 150 or so. As a point of comparison […] Nicotine, closer to 250 […] [and] cocaine will raise it to around 350. Methamphethamine can take it up around 1,250!
Dr. Chuck Smith & Dr. Jason Hunt (2021). Understanding Addiction. ISBN 978-1-7312352-0-0.
Der Zusammenhang zwischen Dopamin und der digitalen Welt wird vor allem verdeutlicht durch Whistleblower aus Silicon Valley (wie beispielsweise Tristan Harris oder Susan Fowler). Viele der großen High-Tech Firmen entwickeln ihre Produkte so, dass wir möglichst viel Zeit darauf verbringen. Das liegt natürlich im Interesse der Hersteller, da sie uns mehr Werbung zeigen können, wenn wir länger auf den entsprechenden Plattformen unterwegs sind. Somit verdienen diese Unternehmen von jeder Minute, die wir ihnen schenken. Dass wir das freiwillig machen, wiederum, gelingt nur dadurch, dass unser dopaminbasiertes Belohnungssystem manipuliert wird.
The thought process that went into building these applications, Facebook being the first of them, was all about: ‘How do we consume as much of your time and conscious attention as possible?’ And that means that we need to sort of give you a little dopamine hit every once in a while, because someone liked or commented on a photo or a post or whatever.
Sean Parker (2017), Mitbegründer von Facebook in einem Interview mit Axiom
Die Kosten und Nutzen
Es ist nicht unmöglich sich von diesen Apps und Angeboten zu lösen, doch wird es immer schwieriger. Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass die meisten Dienste, die ich einst als “unersetzlich” klassifiziert hatte, gar nicht so unersetzlich waren. Meist genügt es, die Plattformen auf ihren Nutzen hin zu evaluieren und die Anwendung auf lediglich diesen Nutzen, falls dieser denn groß genug ist (oder überhaupt vorhanden), zu reduzieren. In einem anderen Beitrag werde ich näher drauf eingehen, wie ich persönlich meine digitalen Zeitfresser eingedämmt und mir somit viel Zeit freigeschaufelt habe, um anderen – meiner Meinung nach höherwertigen – Aktivitäten nachzugehen.
Doch nicht nur die Angebote, ob digital oder analog, sind ausschlaggebend bei der Gestaltung seiner Freizeit.
Weitere Faktoren
Natürlich ist die Zeit der wichtigste Faktor. Das ist nicht zu leugnen. Denn wer keine Freizeit hat, hat auch kein Problem damit, wie er diese gestaltet. (Sein Problem ist eher, dass er keine Freizeit hat.) Daher spielt das Berufsleben eine nicht unerhebliche Rolle im Leben eines jeden Menschen, auch außerhalb des Berufs selbst. Zu Verwaltung und Einflussnahme auf das Thema Zeit, habe ich in meinem Beitrag Freizeit – Das Problem der Zeit Stellung genommen und einige Ideen gesammelt, die einem helfen sein “Freizeitkonto” aufzustocken (wenn auch nur marginal).
Meiner Erfahrung nach spielt die verfügbare Energie zum Zeitpunkt der Entscheidung eine sehr große Rolle im Auswahlprozess. Mit Energie meine ich hier die Kapazität, gewisse, anspruchsvolle Aufgaben anzugehen. Ist man beispielsweise physisch ausgelaugt von der Arbeit, neigt man eher dazu, etwas machen zu wollen, was einen körperlich nicht noch weiter erschöpft. Heißt, dass es hier am Ende auch darauf ankommt, wie belastend die Arbeit ist. Im selben Maße kann sich auch die Krankheit oder auch psychische Belastung im privaten oder beruflichen Alltag auf die Auswahl der Freizeitaktivitäten auswirken.
Weitere nicht unerhebliche Faktoren sind die Schwierigkeit, oder die Verfügbarkeit der Aktivität. Ist etwas schwieriger zu meistern, beziehungsweise die Hürde größer um an einen Punkt zu kommen, an dem man gerne wäre, so neigt man dazu diese Beschäftigung nicht zu wählen. Ist etwas einfach verfügbar und es muss dafür nicht wirklich viel Aufwand betrieben werden, so ist die Verlockung groß, sich lieber dieser Tätigkeit zu widmen, als einer anderen, für die man beispielsweise nochmal rausgehen müsste. Dies ist stark verbunden mit dem nächsten Punkt.
Motivation ist nämlich nicht zu vernachlässigen. Intrinsische, also die von Innen her stammende, Motivation ist dabei langfristig stärker als die extrinsische, die äußere, Motivation. Viele werden es kennen: fasst man selbst den Schluss etwas zu ändern, hält man es länger durch, als wenn man beispielsweise ein motivierendes Buch liest oder eine Rede von einer erfolgreichen Person sieht. Auch wenn die extrinsische Motivation oft schneller aufgebaut werden kann. In diesem Bezug gilt es sich von der extrinsischen in die intrinsiche Motivation zu kriegen. Heißt, dass man den Impuls von Außen nimmt und sich mit der Thematik auseinandersetzt, um sich selbst davon zu überzeugen, dass das tatsächlich der richtige Weg ist.
Fazit
Viele der in diesem Beitrag genannten Faktoren hängen stark miteinander zusammen und sind schwerstens verstrickt. Der Arbeitsalltag wirkt sich auf die Energie und die Disziplin aus. Ohne Disziplin hilft auch intrinsiche Motivation nicht viel. Dies wiederum kann sich auf die Psyche auswirken, was wiederum die physische Gesundheit beeinflusst, welches sich entsprechend auf die Energie auswirkt. Dadurch fällt man den leicht verfügbaren und direkt belohnenden digitalen Angeboten zum Opfer und ehe man sich versieht, hat man all die Dinge vergessen, die man sich vorgenommen hat. Hier muss jeder seinen eigenen Weg aus diesem Teufelskreis finden.
Generell kann man jedoch sagen, dass wir, in der aktuellen Zeit zumindest, eine paralysierende Auswahl haben, in der meist, so scheint es, die einfacheren und schnelllebigeren Optionen den Vorzug erhalten. Dies ist jedoch nicht so einfach erklärt, wie mit der Manipulation unseres Verhaltens durch Silicon Valley. Es liegt in der Hand eines jeden Einzelnen, diese Entscheidungen zu beeinflussen und damit seine Freizeit maßgeblich zu kontrollieren.
Ich denke, dass diese subjektive Entscheidungsfindung hauptsächlich dadurch ermöglicht und bestärkt wird, dass man sich mit der Thematik beschäftigt. “Aufklärung als Preventionsmaßnahme” ist die Devise, denn: Nur diejenige Person, die weiß, dass etwas passiert, kann sich Gedanken darüber machen, was es denn ist.
Pingback: Hass - Blogstafa