Bewerbungsabenteuer – Demütigung

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Zu Beginn meiner Karriere als Softwareentwickler war mir klar, dass meine berufliche Zukunft in der Firma, in der ich meinen ersten Vollzeitjob nach dem Studium erhielt, nicht rosig aussehen würde. Daher bewarb ich mich parallel weiter und suchte nach einem guten Arbeitgeber, ohne den Odem der Arbeitslosigkeit im Nacken spüren zu müssen. In diesem Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren bewarb ich mich auf einige Jobs und hatte auch ein paar Bewerbungsgespräche.

Das Ganze ist nun etwa vier Jahre her, und ich möchte diesen Blog dazu nutzen, meine Erfahrungen zu teilen. Hierbei werde ich meine prägendsten Eindrücke in einer Reihe von Beiträgen vorstellen. Beginnen wir mit einem Prozess, der mir noch sehr lebhaft in Erinnerung geblieben ist.

Augenwäsche

Im Januar 2019 war ich gerade drei Monate in Vollzeit bei meinem ersten Arbeitgeber angestellt, als ich dieses Unternehmen von einer Recruiterin auf den Tisch bekam. Noch neu im Umgang mit Recruitern, wusste ich nicht, was auf mich zukam. Mir war zudem nicht klar, wie viel manche Personaldienstleister an Augenwäsche betreiben, damit sie möglichst viele Vorstellungsgespräche organisieren können. Was Sie sich davon erhoffen, erschließt sich mir bis heute nicht.

Das Unternehmen sei ein Mittelständer mit über zwanzig Jahren Erfahrung in der IT-Dienstleistung und sei in ihrer Spezialisierung auf Atlassian-Produkte gemeinhin bekannt, so die Recruiterin. Gehälter lägen im durchschnittlichen Bereich und die Mitarbeiterzufriedenheit sei hoch. Der Geschäftsführer wäre bereits daran interessiert mich kennenzulernen.

Ich nahm das Angebot an und verabredete mich zu einem Vorstellungsgespräch. Ich sollte nach Feierabend dort erscheinen um mit dem Geschäftsführer persönlich zu sprechen.

Vorstellung

Als ich, leicht verspätet, in das Büro hineinkam, war es sogut wie leer. Es war bereits kurz nach 17:00 Uhr. Nur noch einige wenige Mitarbeiter waren bei der Arbeit. Ein paar packten gerade ein und ich nahm, angeleitet von der Empfangsperson, währenddessen Platz in einem großen Besprechungsraum um auf meinen Ansprechpartner zu warten. Im Raum war ein großer, weißer Tisch auf dem nichts stand und einige blau bezogene Stühle die drumherum aufgestellt waren. Ich nahm mittig platz und sah mir die Stellenbeschreibung noch einmal an.

Mein Ansprechpartner war, wie bereits erwähnt, der Geschäftsführer des Ladens, der mich ein paar Minuten warten ließ, bis er dann selbst auch auftauchte. Ein “wichtiges Telefonat” habe ihn aufgehalten. Er saß sich lässig, die Beine überschlagen, vor mich und begann zu reden.

Die Aussagen, die die Recruiterin getätigt hatte, wurden größtenteils wiederholt. Ich notierte mir ein paar Stichpunkte und war noch recht offen dem Ganzen gegenüber. Später kam auch ein Mitarbeiter, ein Senior Consultant, dazu und die beiden fragten nach meiner bisherigen Erfahrung in der Softwareentwicklung. Ich schilderte meinen beruflichen Werdegang und erwähnte, dass ich auch viel in meiner Freizeit machen würde, da ich mich auf meiner Arbeit nicht weiterentwickeln würde.

Während ich davon erzählte, wie meine privaten Projekte aussehen würden und wie sie aufgebaut waren, merkte ich, dass der Geschäftsführer sein Gesicht verzog. Ich machte mir nichts daraus und erzählte weiter.

Demütigung

Nach meiner Vorstellung, ging es weiter zu einer Art Test. Ich sollte beschreiben, wie ich ein System aufbauen würde, welches gewisse Voraussetzungen hätte und bestimmte Features beinhalten sollte. Auf einem Whiteboard beschrieb ich mein Vorgehen und abgesehen von ein paar Korrekturen war der Senior Consultant zufrieden. Der Geschäftsführer sah potenzial nach oben.

Potenzial nach oben ist nett ausgedrückt, denn was der Geschäftsführer mir anschließend mitteilte, war in etwa das Folgende:

Meine Mitarbeiter sind sehr gut in dem, was sie machen. Sie sind sogar so gut, dass sie freiwillig in ihrer Freizeit, TROTZ FAMILIE, programmieren und sich weiterbilden! Ich würde sogar sagen, dass meine Mitarbeiter so gut sind, dass sie in ALLEM, ich meine wirklich ALLEM, besser sind als Sie. Suchen Sie sich ein Thema heraus, das sie sehr gut beherrschen. Meine Mitarbeiter können das besser als Sie.

Komplett verwirrt von diesem Affront aus dem Nichts, wusste ich nicht was ich sagen sollte. Ich war sprachlos und brachte nicht mehr als ein “Oh, das hört sich nach motivierten Mitarbeitern an” über die Lippen. Der Senior Consultant stand daneben und war selbst sichtlich irritiert. Er versuchte das, was der Geschäftsführer gesagt hatte, ein wenig zu übersetzen und meinte, dass damit gemeint sei, dass ich hier viel lernen könne von einem jeden Mitarbeiter und meine privaten Projekte etwas sehr gutes seien, was jedoch hier in der Firma nicht ungewöhnlich sei.

Die Übersetzung brachte mir nicht viel, denn ich war entsetzt und fühlte mich gedemütigt. Das Gesagte mochte vielleicht stimmen, aber dass man einem Bewerber mit solchen Aussagen von sich überzeugen wollte, war doch ein wenig absurd. Wir redeten noch ein wenig über das mögliche weitere Vorgehen und über das “Drumherum”, also über das Angebot des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer.

Absage

Am Ende verabschiedete ich mich von den beiden und ging verstört nach Hause. Noch den ganzen Abend beschäftigte mich dieses Thema und ich kam nicht darauf klar, wie jemand auf solch eine Art und Weise versuchen kann, einen Bewerber für sich zu gewinnen.

Als ich mich zwei Tage später mit meiner Recruiterin austauschte, erzählte ich ihr von diesem verstörenden Erlebnis. Diese schien selbst auch verwirrt. Man sah ihr an, dass sie sowas selbst nicht erwartet hatte. Sie versuchte das ein wenig zu verargumentieren, um mich doch noch zu überzeugen, dem Unternehmen zumindest eine zweite Chance zu geben. Aber nach einer solchen Demütigung war ich alles andere als gewillt dort zu arbeiten. Ich sagte dieser Stelle ab und die Suche ging weiter.

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